Mit einigem Interesse verfolge ich die immer wieder gleichen Argumente pro und contra der digitalen Kostenlosverbreitung geistigen Eigentums. Man möchte meinen, allein die Benennung durch das Wort „Eigentum“ würde darauf hinweisen, dass es sich um Besitz handelt, scheint aber nicht so zu sein. Ausschlaggebend (und in meinem Falle eher Ausschlag gebend, die Pickelchen sitzen als Kranz um meinen Kopf, glücklicherweise bislang von meinem Haar verdeckt) scheint das Wort jedoch nicht zu sein, fordern die neuen deutschen Freibeuter doch, dass Geschriebenes, Gefilmtes, Verkünsteltes doch frei ergo legal nutzbar werden sollte für jeden: So weit so gut, doch kostenlos??? Da helfen Argumente, die daran erinnern, dass es sich um eine erbrachte Leistung handelt, bislang wenig. Es klingt berauschend gut, den neuesten Hollywood-Blockbuster ohne langes Zaudern einfach googeln und tiefbefriedigend gratis schauen zu können…, nicht wahr?
Nun ist die Frage, wer demnächst die Leute bezahlen soll, die monatelang in der Einöde schwitzen, um das Verlangen des erregten Zuschauers zu befriedigen, einen Serienmörder nach Las Vegas zu verfolgen… aber das klingt recht kapitalistisch, viel zu materiell. Die Kritik am angestrebten Urheberrechtreformteilsdings richtet sich wohl gegen die großen Unternehmen, Verlage, Produktionsfirmen, bla, bla, bla, die sich anscheind gesund stoßen an jeder verkauften B-Ray, Buch, ja sogar Zeitung… und ich sage: Na und? Es ist doch euer Begehren! Ihr wollt die teils stupiden Filme gucken, ihr wollt die trivialen Bücher lesen, ihr wollt euch informieren – genauso wie ihr dieses oder jenes Auto haben wollt, genauso wie ihr kein Billy Regal wollt sondern die Designkommode, die aus Teakholz – und dafür zahlt ihr. Entscheidend ist hier das WOLLEN. Natürlich gibt es Filme, Bücher, Infos, zu denen jeder Mensch freien Zugang haben sollte, aber dazu gehören sicher nicht Quentin Tarrantinos neuester Hit oder Charlotte Roches Ergüsse. Und egal, wie sehr ihr es glaubt, Harry und Edward müssen für ihre Dienste auch bezahlt werden – in harter Währung, denn Joanne und Stephanie müssen auch einkaufen gehen, um ihre Kinder zu füttern. Dass sie damit Millionen verdienen, liegt daran, dass sie aus irgendeinem Grund von unglaublich vielen Leuten gelesen werden, was noch lange nicht sicher war, als sie die ersten Zeilen tippten. Autoren, Journalisten, Regisseure, Kameramänner, selbst der Typ, der die DVDs produziert – eine Riesenmenge von Jobs hängt an dieser Industrie. Und nur, weil die Leute ihr WOLLEN nicht unter Kontrolle haben, ihre GIER, soll das geistige EIGENTUM von Menschen, die mit ihrer Fantasie arbeiten, plötzlich nichts mehr WERT sein. Denn ich frage mich, wer noch Zeit finden wird, ein gutes Buch zu schreiben, einen guten Artikel für die Spätausgabe der KOSTENLOSEN Zeitung von morgen, der ihr vertraut, wenn niemand dies honoriert? Wenn man nebenbei Mechaniker werden muss, um sich einen Lebensunterhalt zu erarbeiten. Wie verkommen ist das Denken von Leuten, die meinen, der zu Papier gebrachte Gedanke sei nichts wert?
Denn genau dieser Luxus des Denkens – die Befreiung vom Ziegen hüten – hat der Zivilisation den Weg geebnet. Hätte sich nicht ein Rahmen ergeben, durch die Aufteilung von Arbeit, das wachsende Interesse an den Fragen hinter dem nächsten Säh-Prozess, niemand hätte Sokrates beibringen können, Fragen zu stellen, er wäre zu sehr beschäftigt gewesen, Schwerter zu schmieden.
Die Leute verwechseln zu häufig ihre Gier mit dem, worauf sie Anspruch haben. Aber ich treffe so selten auf Menschen, die von dem, was man Kulturerbe nennen könnte, tatsächlich Ahnung haben. Die Informationen, die das Leben wirklich kolorieren, das Wissen um Geschichte, Sozialstrukturen, den Respekt vor den Errungenschaften früherer Zeiten – für die interessiert sich niemand. Derzeit geht es nur darum, so viele Apps wie möglich (möglichst gratis) herunterzuladen, auf denen man Ballerspiele austesten kann.
Seltsamerweise fällt niemandem dieser Konsumrausch auf. Wir lassen uns immer weniger Zeit zu genießen, wir lassen nichts von dem, womit wir umgehen, nachwirken. Wer setzt sich noch zusammen, um die Geschehnisse in Syrien zu diskutieren (außer irgendwelchen Arbeitsgruppen des Außenministeriums natürlich)? Der Artikel mit den 3 neuesten Toten wird schnell überflogen, und dann auf, auf, da war doch noch ein Kommentar zu Angelina Jolie… Die Masseninformationen haben nur dazu geführt, dass wir im Strom der Bytes ertrinken, dass wir nach leichter Kost suchen, die unsere Konsum-Adipositas dennoch verstärkt. Wir nehmen nichts mehr ernst, wir schalten das Denken ab, wir wollen mehr, wir wollen nichts, vor allem nichts zahlen, denn der Kick des Gesehenen, die Länge des Gelesenen, es bleibt ja doch nur Sekunden in unserem Hirn, ehe es prompt durch die Rinde ausgeschwitzt wird.
Es wird uns irgendwann noch kosten. Sehr viel. Mehr als jeder Autor verlangen würde.
Grundsätzlich gilt: Dinge, für die ich Geld ausgebe, die schätze ich. Dinge, die nichts kosten, lasse ich schnell liegen. So ist es mit den kostenlosen Unizeitungen, so ist es mit der Gratis-MP3, die merkwürdigerweise nie ein Hit wird, so ist es mit den Büchern vom Grabbeltisch. Was wir wirklich brauchen, ist Verständnis für die Leistung eines Filmemachers, nicht immer gleich den zynischen Gedanken vom großen Geld, das er uns abehmen will. Denn ist es nicht paradox, dass ich diesen blöden Film unbedingt schauen will (nur einmal), aber argumentiere, dass ich den Typen, der den Film gemacht hat, nicht noch reicher machen will? Neid steht niemandem. Und er ist schnell durchschaubar. Unser (globales) Problem ist, dass er allzu menschlich ist, und mit der Gier korreliert. Da sind wir ja wirklich weit gekommen, nach all der Kritik am Kommunismus kommt er nun tatsächlich unter der Tarnkappe digitaler Kostenloskultur zurück. Gleiches gleich und gratis für alle, was?